Otto Henschke                      Bei Sonnenuntergang

 

Noch einml, Sonne, sende deine Strahlen,

Daß sie wie sonst, mein armes Herz erquicken! –

Ach, du entschwebst, und meinen irren Blicken

Erscheint die Nacht, mit ihren ew’gen Qualen. –

 

So muß ich denn des Lebens Schuld bezahlen;

Schon seh’ ich all’ die Furien grinsend nicken,

Ihr gift’ger Hauch, ach, droht mich zu ersticken –

Hier, nehmt ihn hin, den letzten Rest, den schalen! –

 

Und wie ich angstbetäubt die Augen schließe,

Wird mir, als ob ein Lichtstrom mich umfließe

Und süß ertönt es mir, wie Himmelsgrüße. –

 

Ich wachte auf; die Abendglocken klangen,

Der Spuk entfloh; ich sah mit frohem Bangen:

Ein mildes Sternenlicht war aufgegangen. -

 

 

 

Otto Henschke                      Dank für einen Korb Pfirsiche

(Frau Ph. Sch...)

 

Für ein paar Rosen, die an Hecken blühen,

Vom Frühlingshauche überreich entfaltet,

Schenkst du den Pfirsich mir, so schn gestaltet

Wie Mädchenwangen, wenn sie sanft erglühen. –

 

Wie schwierig ist es, diese Frucht zu ziehen;

Und nur, wenn die Gestirne hold gewaltet,

Der zarte Zweig von keinem Frost erkaltet,

Lohnt sich des Pflegers Sorge und Bemühen. –

 

Von allen Früchten sind des Pfirsich Düfte

Das köstlichste, was uns Natur gegeben;

Drum laß mich, edle Frau, dir innig danken.

 

Der Blume Schönheit dringt bis in die Grüfte,

Allein die süße Frucht gehört dem Leben

Und bringt Erquickung auch mir armen Kranken.

 

 

 

 

Otto Henschke                      Das gefangene Vöglein

 

Ein Knabe hört im Busch ein Vöglein singen;

Und ganz bezaubert von dem holden Sange,

Sinnt er schon nach, wie er das Vöglein fange,

Und bald hält er den Raub in seinen Schlingen.

 

Zu Hause stutzt er ihm die weiten Schwingen;

Nun setzt er ihn auf eine goldne Stange

Mit leichten fesseln nur und wartet bange,

Daß ihm die holden Weisen wieder klingen. –

 

Er bringt ihm Futter aus dem feinsten Samen,

Gibt frisches Wasser ihm und süßen Rahmen,

Umsonst, das Vöglein läßt das Köpfchen hängen.

 

Nur wehe, abgerissne Klagelaute

Hört jetzt der Knabe, wenn er nach ihm schaute,

Doch nichts von holden, süßen Liebesklängen! -

 

 

 

 

 

Otto Henschke                      Das geheimste Weh

 

Was ich im Lied vertraut den stillen Blättern,

An Freuden, die mir einst im Herzen blühten,

An Leiden, die die Seele mir durchglühten:

Es ward gedruckt in schwarzen, starren Lettern. –

 

Nun ist es preisgegeben argen Spöttern;

Ich kann es nicht mehr wie ein Kleinod hüten;

Schon sah ich, wie die Witzesfunken sprühten,

Ja, wie selbst kleine Geister drüber wettern. –

 

Fast tut’s mir leid, daß ich mich Euch gegeben,

Euch nun enthüllt der Seele innres Leben,

Den Schleier zog vom bunten Liebesweben. –

 

Doch wißt, was auf dem Grund der Seele lastet,

Geheimstes Weh, das nimmer ruht und rastet, -

Hab auch im Liede ich nicht angetastet. –

 

 

 

Otto Henschke                      Das Heiligste

 

Sahst eine Mutter du in ihrem Glücke,

Wenn sie ihr Kind im warmen Schoße wiegte,

Mit weichen Armen an die Brust sich’s schmiegte?

Sahst du den Strahl der Liebe ihr im Blicke?

 

Wenn du es sahst, o preise dein Geschicke!

Die Mutterliebe, der die Welt sich fügte,

In Bethlehem die Weisen einst besiegte,

Ist heilig dir, wär Alles auch voll Tücke. –

 

Nur Eines gibt’s, was heiliger auf Erden;

O möge nimmer dir sein Anblick werden,

So lang du lebst, bewegt’s dein fühlend Herz:

 

Sahst eine Mutter du, wenn sie verloren

Das kind, in ihrem Schoße einst geboren!

Das heiligste sahst du, - der Mutter Schmerz. -

 

 

 

Otto Henschke                      Einer Sängerin

(Frau Em. H...)

 

ich lauschte deinen glockenreinen Tönen!

Es klang so weh, so süß, so herzbezwingend,

Die Hörer all mit Zauberbann umschlingend,

Und aufwärtshebend in das Reich des Schönen! –

 

Da hör’ ich tosend Beifall rings erdröhnen;

Die Herzen, noch in weicher Regung schwingend,

Sie jubeln auf, und grüne Kränze bringend,

Will man dich, Zauberin, mit Lorbeer krönen. –

 

Ich konnte nicht den lauten Jubel teilen;

Die Seele fühlt’ ich mir zurücke eilen

In frühe Jugendzeit, um dort zu weilen. –

 

Du sangst ein Lied aus wehen, süßen Stunden –

Se brachen auf die längst vernarbten Wunden –

Du sangst, als hättest du mit mir empfunden. –

 

 

 

 

Otto Henschke                      Fahr’ hin

 

Fahr’ hin, mein Freund, fahr’ hin! Ein ganzes Leben

Hast du mich Jüngeren im Bann gehalten;

Jetzt seh ich mein Gefühl für dich erkalten,

Nicht mehr den Schleier mir vor Augen schweben.

 

Klar seh ich nun dein egoistisch Streben

Und was die schönen Worte alle galten,

Die mir so oft die Seele überwallten,

Daß ich mein volles Herz dir hingegeben. –

 

Was ich für Liebe hielt, war eitles Wähnen;

Und Bilder aus vergangnen Tagen gähnen

Mich heute an mit höhnendem Gesicht. –

 

Und doch, der schöne Wahn, der nun entflohen,

Er läßt noch immer meine Schmerzen lohen,

Ich trau’r ihm nach, wie letztem Sonnenlicht. -

 

 

 

 

 

Otto Henschke                      Fräulein ...

 

 

I.

 

„Es fällt dir schwer, zu glauben, daß Gott richtet;

Das Böse straft, doch auch das Gute lohnet –

Wer über Millionen Welten thronet,

Den läßt es kalt, wenn eine sich vernichtet. –

 

Das Wesen, das zum Menschen sich verdichtet,

In dessen Seele eignes Denken wohnet,

Es ist, gleichviel, ob es dem Bösen frohnet,

Dem Guten huldigt, nur sich selbst verpflichtet.“ –

 

Du bist so rein, wie gut; siehst dich umgeben

Von allem Schönen, was das Leben zieret,

Und – nimmst es hin, als ob es dir gebühret!

 

Doch wie? wenn einst die Sorgen dich umschweben,

Dir, schuldlos, droh’n in mancherlei Gestalten,

Wird dieser Glaube dann dich aufrecht halten? -

 

 

II.

 

Nicht lächeln soll ich über dich, du Reine,

Wenn deinen Glauben du mir anvertraust?

O nein, ich staune nur, wie fest du baust,

Für deinen Tempel fügest Stein um Steine.

 

Und doch hast du vergessen, daß der Eine,

Auf den auch du mit gläub’ger Seele schaust,

Zum Schöpfer sprach, als er vom Tod umgraus’t:

„Dein Wille soll geschehen, nicht der meine!“

 

Vor Zweifel ist kein Menschenherz zu wahren;

Wird es bedroht von Stürmen und Gefahren:

Wohl dem, dess Glaube dann ein fester ist. –

 

Ob diesen Glauben dann die Dogmen stützen,

Ob nicht, gleichviel, er wird der Seele nützen,

Ist er nur aufgebaut auf Jesu Christ. -

 

 

 

Otto Henschke                      Klage

 

Ein müder Wandrer irrt auf stiller Heide;

Rings, ach, kein Quell, zur Labe ihm bereitet;

Und wie er lechzend, suchend weiter schreitet,

Sinkt er dahin, erlöst vom Erdenleide. –

 

Ein traurig Bild! – Und dennoch, fast beneide

Den Wandrer ich, vom Schicksal so geleitet;

Ein guter Engel über ihn gebreitet,

Nahm ohne Qualen ihn zur ew’gen Weide.

 

Das Tal des Leids braucht er nicht mehr zu schauen;

Sein brechend Auge sah zum aetherblauen,

Zum Himmel auf mit gläubigem Vertrauen. –

 

Voll düstrer Zweifel blicke ich zur Höhe;

Kein Engel naht, wie heiß ich ihn erflehe –

Kalt überläßt mich Gott dem Erdenwehe. - -

 

 

 

 

Otto Henschke                      Rosen zum Geburtstage

(Frau Dr. A. W.)

 

So  schön und duftig, wie die Rosen blühen,

Die ich dir heut’ zum Wiegenfeste bringe,

So hell bis in die fernste Zeit erklinge

Die Freude dir in süßen Harmonien. –

 

Und wie, vom Stamm gebrochen, schnell verglühen

Die Rosen all’ im flücht’gen Lauf der Dinge,

So soll das Leid, wenn es dich je umfinge,

Von deiner heit’ren Schwelle rasch entfliehen. –

 

Der Rose Lob erklingt in allen Tönen,

Man huldigt ihr als Sinnbild alles Schönen

Und weiht sie gern dem frischen, vollen Leben!

 

So nimm, du Teure, diese duft’gen Blüten;

Und Rosen mögen stets das Glück dir hüten,

Auf allen Pfaden blühend dich umgeben. -

 

 

 

Otto Henschke                      Sonnenschein und Schatten

 

Der Sonnenschein lag über meinem Haupte!

Gar warm und wohlig reckte ich die Glieder,

Dem Vogel gleich, der sich auf Goldgefieder

Hinauf zum Quell des Lichts zu tragen glaubte! –

 

Ein tiefer Schatten, der mich jäh beraubte

Des holden Lichtes, senkte sich hernieder;

Es kam ein Sturm – nun sehe ich mich wieder:

Ein morscher Stamm, der vor der Zeit entlaubte. –

 

Und doch, ich habe Blüten einst getragen;

kühn wollt’ ich mich hinauf zur Höhe wagen,

Rings um mich her die Andern überragen!

 

Umsonst! die dichten Zweige sind entblättert,

Die starken Äste dürr und schon verwettert –

O käm ein Blitz, der auch den Stamm zerschmettert! -